V. Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf

Cover
Titel
Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen


Autor(en)
Groebner, Valentin
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Es gibt Bücher, denen man sich ob des Rufes, der von ihnen ausgeht, nicht ohne weiteres unbefangen nähern kann. Dies ist der Fall von Valentin Groebners «Das Mittelalter hört nicht auf», einem selbst auf diese Weise deklarierten Essay, der seinem Untertitel zum Trotz weniger von historischem Erzählen denn von historischem Konstruieren handelt. Es geht darin um das Konstrukt «Mittelalter» – das als solches nur existiert, wenn man darüber spricht oder schreibt –, wobei Groebner einen eleganten Bogen von der «Erfindung» des Mittelalters durch die Humanisten bis in die Gegenwart schlägt. Sein Interesse gilt den wechselnden Bedeutungen, mit denen «das» Mittelalter jeweilen beladen wurde, sei es als Abschreckung oder als Vorbild. «Rufschädigend» ist das alles natürlich nicht. Was dem Buch freilich vorauseilt, sind seine Provokationen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie gezielt sind, so etwa, wenn in Bezug auf Traditionsunternehmen wie die Monumenta Germaniae Historica (MGH), die Regesta Imperii oder die Edition der Reichstagsakten, von deren zugegebenermassen etwas altväterlichem Charme der Verfasser im übrigen nicht ganz unberührt geblieben zu sein scheint, von «beschützten Werkstätten» die Rede ist (S. 72). Abgesehen von der Bedeutung dieser «Werkstätten» für die Ausbildung der historischen Disziplin bewahren sie heutzutage ein – handwerkliches – Rüstzeug, dessen Erwerbung an den Universitäten alles andere als garantiert ist. Der Redlichkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Rezensent als derzeitiger Schweizer MGH-Mitarbeiter selbst als Gast in einem dieser Ateliers weilt.

Groebners Nadelstiche belasten das Buch unnötigerweise, da es sich als eine durchaus aufschlussreiche und – ein Wort, das in anderen Umständen vermutlich nicht gern gehört würde – unterhaltsame Lektüre erweist, die solcherart Sticheleien gar nicht nötig hätte. Nach seinem Husarenritt durch sieben Jahrhunderte Mittelalterkonstruktion, auf dem oft mehr angedeutet als ausgeführt wird, legt der Autor den Finger zu Recht auf einen wunden Punkt in jeder Mediävistenseele: den Bedeutungsverlust in den schulischen und universitären Curricula, mit dem sich die Mittelalterstudien an der Wende zum 21. Jahrhundert konfrontiert sehen. Allerdings hat dieser Verlust auch sein Gutes, zumindest wenn man die nationenbildenden und staatstragenden Funktionen bedenkt, mit denen die Mediävistik im 19. Jahrhundert befrachtet wurde und von denen sie heute weitgehend befreit ist. So manches in Groebners Buch ist bedenkenswert, wenn auch vielfach nur kurz angerissen. Der in Form einer geistreichen Causerie gehaltene Text ohne Einzelnachweise, jedoch mit kapitelweise aufgeführten Literaturangaben liesse sich als Fortsetzungsfeuilleton in einer gehobenen Tageszeitung vorstellen, was ihm an sich nicht zum Nachteil gereicht. Jedoch treibt der Autor ein irritierendes Doppelspiel, indem er zwischen zwei Erzählperspektiven oszilliert: Von seinem Werdegang und seiner beruflichen Stellung her ist er Teil des akademischen «Establishments », posiert aber mitunter als Aussenseiter, was zu einer merkwürdigen Durchmischung von Innen- und Aussenansicht führt. Letztere tritt besonders deutlich hervor, wenn Groebner auf journalistische Weise anonymisierte Zitate von eigens dafür befragten Fachkolleginnen und -kollegen in seinen eigenen Diskurs einfliessen lässt, was nicht ohne die Frage nach dem Mehrwert derartiger Versatzstücke geschieht.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen. München, C. H. Beck, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 483-484.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 483-484.

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